Nachrichten & Pressemeldungen - 10. Oktober 2025 Lieferkettengesetze: Globale Solidarität statt Sorgfaltspflichten nach Checklisten Am 7. Oktober 2025 kamen in Berlin Expert*innen, Gewerkschafter*innen und Aktivist*innen aus Pakistan, Bangladesch, Indien, Indonesien, Serbien, Mexiko und Deutschland zusammen, um auf der internationalen Konferenz „Due Diligence and Labour Rights – Quo Vadis?“ über die Zukunft der unternehmerischen Sorgfaltspflichten zu diskutieren. Veranstaltet von FEMNET e. V. gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung, dem CorA-Netzwerk und dem Dachverband der Kritischen Aktionär*innen stand die Frage im Mittelpunkt, wie das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) und die europäische CSDDD tatsächlich zu Verbesserungen für Arbeiter*innen entlang globaler Lieferketten beitragen können. Zwischen Errungenschaft und Abschwächung Die Teilnehmenden waren sich einig: Sowohl das deutsche Lieferkettengesetz (LkSG) als auch die europäische Richtlinie CSDDD bleiben wichtige Fortschritte, für die viele Aktivist*innen und Organisationen jahrelang gekämpft haben. Doch während das LkSG noch keine zwei Jahre in Kraft ist, wurde es im September 2025 bereits deutlich abgeschwächt. Das Bundeskabinett beschloss, die Berichtspflicht auszusetzen und Sanktionen nur noch bei „schweren Verstößen“ zuzulassen. Auch auf EU-Ebene wird im Rahmen der sogenannten Omnibus-Initiative eine Abschwächung der europäischen Richtlinie CSDDD diskutiert: Die Reichweite soll auf große Unternehmen beschränkt, die Verantwortung auf direkte Zulieferer reduziert und die zivilrechtliche Haftung gestrichen werden. Damit verlöre das Gesetz zentrale Instrumente, um Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung wirksam zu begegnen. Um diese Aushöhlungen zu erzielen, scheinen die Konservativen im Europaparlament mit Rechtsextremen kooperieren zu wollen: Die EVP droht, sich am 13. Oktober, wenn der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments über seine Position zum Kommissionsvorschlag des so genannten Omnibus I Pakets abstimmen will, gemeinsam mit rechtsextremen Fraktionen für eine vollständige Aushöhlung der Richtlinie auszusprechen. Hintergrundinformationen (PDF) Kritik an der Umsetzung von Beschwerdefällen Kritik wurde außerdem an der Verfahrenspraxis des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) laut, das für die Kontrolle und Durchsetzung des LkSG zuständig ist. In drei bisher eingereichten Fällen, deren Beschwerdeführende auf einem der Panels berichteten, seien die Betroffenen im Unklaren über den Stand ihrer Verfahren gelassen worden. Ohne Transparenz verlieren die Betroffenen das Vertrauen in das Gesetz – und in die Wirksamkeit solcher Verfahren. „Das Gesetz ist managebar“ – zwischen Pflichterfüllung und echter Veränderung Auch die praktische Umsetzung des LkSG durch Unternehmen wurde diskutiert. Die Wirtschaftsvertreterin Julia Thimm (Tchibo) wies den Vorwurf zurück, das Gesetz sei ein bürokratisches Monster, und betonte, es sei durchaus „managebar“. Damit stellte sie klar, dass es für Unternehmen möglich ist, die Anforderungen zu erfüllen. Unterstützt wurde diese Aussage von Annabell Brüggemann vom ECCHR: Sorgfaltspflichten sollten kein Problem darstellen, außer für solche Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf der systematischen Verletzung von Menschenrechten basiert. Viele Panelist*innen kritisierten jedoch dieses „Checklisten-Verständnis“ der Unternehmen, die Nachweispflichten erfüllen, aber keine strukturellen Veränderungen anstoßen. Aus Perspektive der Arbeiter*innen führt das dazu, dass Gesetze auf dem Papier bestehen, ohne die Machtverhältnisse in den Lieferketten zu verändern. Perspektiven aus dem Globalen Süden Wie wichtig solche Veränderungen sind, zeigten die Berichte aus dem Globalen Süden. Bojana Tamindžija (Center for Politics of Emancipation, Serbien) erklärte, dass das LkSG trotz seiner Schwächen vor Ort Wirkung entfalten kann. Schulungen zum Gesetz hätten dazu beigetragen, dass Beschäftigte ihr Recht auf faire Arbeit überhaupt erst als einklagbar begreifen. Viele hätten zum ersten Mal erfahren, dass niedrige Löhne und unsichere Bedingungen keine Naturgegebenheit sind, sondern Verstöße gegen Rechte. Nasir Mansoor (National Trade Union Federation, Pakistan) bezeichnete das LkSG als Ausdruck globaler Solidarität. Damit diese Solidarität aber mehr ist als ein Symbol ist, brauche es Allianzen zwischen Gewerkschaften im Norden und Süden. Nur wenn Gewerkschaften in Europa die Kämpfe ihrer Kolleg*innen im Globalen Süden unterstützen, könne das Gesetz tatsächlich wirksam umgesetzt werden. Amirul Haque Amin (National Garment Workers Federation, Bangladesch) ging noch einen Schritt weiter. Arbeitsrechte seien nie nur nationale Fragen, sondern Teil eines globalen Ringens um Macht. Der Kampf gegen Ausbeutung sei immer auch ein Kampf gegen den globalen Kapitalismus – und er könne nur gewonnen werden, wenn sich Arbeiter*innen über Grenzen hinweg zusammenschließen. Union Busting als gemeinsame Herausforderung Wie notwendig solche Allianzen sind, zeigte der Bericht von Zehra Khan (Home-Based Women Workers Federation, Pakistan). Sie schilderte, wie Unternehmen in Pakistan juristische und wirtschaftliche Mittel einsetzen, um Gewerkschaften zu blockieren. Sie selbst sieht sich Klagen über hohe Geldsummen ausgesetzt, die sie und ihre Kolleg*innen einschüchtern sollen. Behörden würden bestochen, Verfahren verzögert und in manchen Fabriken würden „gelbe“ Gewerkschaften gegründet, um die echte Organisierung zu unterlaufen. Solche Praktiken sind kein ausschließliches Problem des Globalen Südens. Auch in europäischen Branchen, etwa der Logistik oder der Landwirtschaft, versuchen Unternehmen, Beschäftigte an gewerkschaftlicher Organisation zu hindern. Union Busting ist damit ein globales Muster, das zeigt, wie eng Kämpfe um Arbeitsrechte miteinander verbunden sind. Globale Solidarität als Voraussetzung für Wirkung Viele der Teilnehmenden betonten wie auch Sina Marx (FEMNET) und Tilman Masse (Kritische Aktionäre) in ihrer Schlussrede, dass das Lieferkettengesetz nur dann zu einem Instrument globaler Gerechtigkeit werden kann, wenn es mit gewerkschaftlicher Stärke und internationaler Zusammenarbeit verknüpft wird. Gewerkschaften im Norden und Süden müssen gemeinsam Druck auf Unternehmen ausüben, Erfahrungen austauschen und Allianzen bilden. Nur so kann verhindert werden, dass Arbeitsrechte in Produktionsländern systematisch unterlaufen werden. Ausblick Die Konferenz machte deutlich: Gesetze sind nur so stark wie die Menschen, die sie mit Leben füllen. Entscheidend ist, ob diejenigen die geschützt werden sollen, an ihrer Umsetzung beteiligt werden und über kollektive Macht verfügen. Und dabei können globale Allianzen helfen. Arbeitsrechte entstehen nicht auf dem Papier. Sie werden erkämpft, verteidigt und gemeinsam weiterentwickelt – von Karachi bis Berlin. In Zeiten eines politischen Rechtsrucks ist dies auch ein Schutzwall gegen die Aushöhlung menschenrechtlicher Standards. Bis Reformfenster wieder aufgehen, gilt es Rückschritte zu verhindern, Fortschritte zu verteidigen und die bestehenden Instrumente soweit zu nutzen wie eben möglich.